JadeBay-PixelPartner-Veranstaltungsreihe informierte über das aktuelle Thema "Flüchtlinge als Fachkräfte: Chancen und Herausforderungen" Experten und Unternehmer aus der Region berichteten vor gut 60 regionalen Wirtschaftsakteuren aus der Praxis

Varel, 19. Mai 2016 - Angesichts von über 1 Million neuen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern unseres Landes, die es zu integrieren gilt, könnten doch auch für Unternehmen in der JadeBay passende Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen dabei sein. Beispiele aus der Praxis zeigen, dass es für beide Seiten hilfreich sein kann, wenn Menschen aus den Krisenregionen unserer Welt eine Chance erhalten.

Aber worauf müssen Unternehmer dabei überhaupt achten? Wie gelingt die Integration ins Unternehmen?

Diese Überlegungen standen am Anfang der Planungen für den turnusmäßig zwei- bis dreimal im Jahr stattfindenden Netzwerkabend der sog. JadeBay-PixelPartner, einem Netzwerk regionaler Wirtschaftsunternehmer/-innen aus der Region. Diese trafen sich im Landhotel Upstalsboom Friesland in Varel am Mühlenteich, der ungefähren geografischen Mitte der JadeBay-Region, und informierten sich über das Thema und damit verbundene Herausforderungen wie z. B. Sprachbarrieren, Vergleichbarkeit von Qualifikationen, kulturelle Unterschiede.

Unter der Moderation von Herrn Alexander von Fintel informierten und diskutierten die Experten Axel Waschke von der Agentur für Arbeit, Oldenburg-Wilhelmshaven und Carsten Feist, Referatsleiter Familie, Jugend, Bildung & Sport, Stadt Wilhelmshaven mit den Unternehmern Arnim Penning vom Autohaus Claas Penning GmbH und Heinrich Kock, Geschäftsführer der Bäcker Becker Dobben Café GmbH. Beide Unternehmer haben bereits eigene gute Erfahrungen mit der Einstellung Heimatvertriebener gemacht und berichteten aus der Praxis. Sie brachten zudem Auszubildende und Praktikanten mit, um auch diese zu Wort kommen zu lassen und das Thema von beiden Seiten zu beleuchten.

Die Anonymität bekommt Gesichter – drei Geschichten

Mohammed Kafkani, verheiratet und Vater eines Sohnes kommt aus dem Iran, den er aus politischen Gründen vor zwei Jahren verließ und nach Zetel kam. Im Iran arbeitete er als Kfz-Mechaniker. Hier, in Deutschland, hatte er keine Aufgabe fühlte sich unnütz und war unzufrieden. So entschied er sich eines Tages, samt seiner Familie, seinen jetzigen Chef, Herrn Arnim Penning in dessen Autohaus in Neuenburg aufzusuchen und um Arbeit zu bitten. Mit diesem Engagement und hoher Motivation bekam Herr Kafkani trotz nicht fehlender deutscher Sprachkenntnisse zunächst einen vierwöchigen Praktikumsplatz.
Tatsächlich ist das deutsche System in Form von Schule und anschließender zwei- bis dreijähriger Ausbildung in vielen Ländern gänzlich unbekannt – so auch im Iran. Die Menschen gehen irgendwann arbeiten und wachsen in einen Beruf mehr oder weniger hinein. Auch die Anforderungen an die Berufe weichen in den Ländern stark voneinander ab und oftmals kann den deutschen Anforderungen nicht entsprochen werden.
So zeigte sich trotz Kafkanis handwerklichen Geschicks und seiner hohen Motivation, dass seine vorhandenen Kenntnisse keinesfalls ausreichend sind, um in Deutschland als Kfz-Mechaniker oder auch –Mechatroniker arbeiten zu können.

Das Foto zeigt von links nach rechts: Samir Deeno (Auszubildender bei der Bäcker Becker Dobben Café GmbH), Alexander von Fintel (Moderator), Heinrich Kock (Geschäftführer Bäcker Becker Dobben Café GmbH), Lenuta Purghel (Auszubildende bei der Bäcker Becker Dobben Café GmbH), Arnim Penning (Inhaber Autohaus Penning Claas Penning GmbH), Mohammed Kafkani (Praktikant beim Autohaus Claas Penning),Frank Schnieder (Geschäftsführer JadeBay GmbH), Elke Schute (Geschäftsführerin JadeBay GmbH), Carsten Feist (Referatsleiter Familie, Jugend, Bildung & Sport, Stadt Wilhelmshaven), Axel Waschke (Arbeitgeberservice der BA)
Foto: Axel Ellerhorst

Arnim Penning imponierte jedoch der junge Mann mit seiner Motivation und seinem handwerkllichen Geschick und er war grundsätzlich offen, Herrn Kafkani eine Chance zu geben. Nach Rücksprache mit seinem Team, das sich ebenso hilfsbereit und offen zeigte – laut Penning eine unabdingbare Voraussetzung, wenn betriebliche Integration gelingen soll – bot er Kafkani deshalb ein 5monatiges Langzeitpraktikum an, dem sich nun nach den Sommerferien eine Ausbildung anschließen wird. (Solche Langzeitpraktika sind inzwischen ein beliebtes Instrument zur beruflichen Integration junger Menschen und zur Stabilisierung und Ausweitung betrieblicher Berufsausbildung. Als betriebliche Einstiegsqualifizierung (EQ) dienen sie der Vermittlung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit und orientieren sich mit ihren Inhalten an die anerkannter Ausbildungsberufe. In Kafkanis Fall eine ideale praxisnahe Möglichkeit.

Weitere Hürden galt es aber zu überwinden: Wie jemanden ausbilden, der die deutsche Sprache noch nicht gut genug beherrscht, um insbesondere die weniger praktischen Berufsschulinhalte zu verstehen?

Kafkani besucht einen Sprachlernkurs an der VHS und lernt mit viel Fleiß und Ehrgeiz. Aktuell, nach 5 Monaten kann er sich schon auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen. Er kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen.

Gemessen am Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen entspricht das zwar erst dem Sprachniveau „Anfänger“ (A1), aber bis zum Ausbildungsbeginn im August soll es das Niveau „B1 - Fortgeschrittene Sprachverwendung“ sein. Kafkani will das schaffen und die Zuhörer zweifeln auch nicht daran, dass er es auch schaffen wird: Sein Wille und seine Motivation sind deutlich spürbar – genauso wie auch seine Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass er mit seiner Familie in Deutschland in Sicherheit sein darf und Dankbarkeit auch, dass sein Chef ihm eine Chance gegeben hat. Gerne würde er den Zuhörern viel mehr erzählen, als es ihm derzeit möglich ist, aber alle verstehen ihn auch so.

Diese positive Grundeinstellung und Dankbarkeit ist ihnen allen gemein, dem Praktikanten Kafkani wie auch den zwei Auszubildenden von Heinrich Kock, der Bäcker Becker Dobben Café GmbH.
Samir Deeno ist Iraker und kam vor vier Jahren nach Deutschland. Da war er gerade 15 Jahre alt, sprach kein einziges deutsches Wort und hatte eine abgebrochene Schulausbildung im Gepäck. Er musste im Irak für die Familie arbeiten gehen, nachdem sein Vater, auf der Suche nach einer sicheren Heimat für die Familie, schon 2009 nach Deutschland gegangen war. Nach Bewilligung der nötigen Asyl-Formalitäten holte er seine Familie im März 2011 über Syrien nach. Im Irak sei man froh, wenn man morgens noch aufwache, sagt Deeno.
Ihm war sofort klar: Ich bin hier, ich muss Deutsch lernen. Und das tat er…täglich montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr an der Volkshochschule und dann privat mit einem Lehrer zuhause, einem hilfsbereiten Menschen, der seinen Beitrag zur Integration der Familie leisten wollte.

Die Mühe hat sich gelohnt: Deeno beendet bald seine Ausbildung zum Bäckereifachverkäufer und hat sehr gute Perspektiven in ein Angestelltenverhältnis übernommen zu werden.
Ebenso wie die 30jährige Lenuta Purghel, die vor vier Jahren der Liebe wegen aus Rumänien herkam. Sie begann mit einem Aushilfsjob als Küchenhilfe bei Heiner Kock ohne ein Wort deutsch zu sprechen. Ihr Chef, Heinrich Kock, erkannte ihr Potential und er bot ihr einen Ausbildungsplatz an.
Da es keinen Sinn machte, Purghel zur Berufsschule zu schicken, sponserte Kock zunächst zwei Sprachlernkurse.
Es gab einigen Klärungsbedarf mit Berufsschule und zuständiger Handwerkskammer, wo man das Fernbleiben der Berufsschule trotz schlüssiger Argumentation zunächst nicht hinnehmen wollte. Aber irgendwie einigte man sich schließlich. Zum Glück: Purghel startete ein halbes Jahr später mit der Berufsschule und schloss inzwischen ihre Zwischenprüfung als Jahrgangsbeste ab.
Schöne Geschichten, die für gelungene Integration stehen, aber gefühlt doch noch selten sind. Woran liegt das eigentlich?

Wie sehen Eintrittskarte und Schlüssel zur Integration eigentlich aus? Wer bekommt sie wie und darf sich dann willkommen in Deutschland fühlen?

Carsten Feist erläuterte die Willkommenskultur in Deutschland und skizziert die Situation für Wilhelmshaven, die sich als grundsätzlich entspannt darstellt. Gut 70 % der Angekommenen verfügen über gültige Ausweispapiere und wurden über den sog. Königssteiner Schlüssel hergeschickt. Hierunter befinden sich viele Familien aus Syrien und dem Irak. Diese Menschen sind bereits als Flüchtlinge registriert, konnten direkt Asylanträge stellen und schon in der Antragsphase Anspruch auf Leistungen haben. Sie haben sonst günstige Bleibeperspektiven und somit beste Voraussetzungen für die Integration!
In Wilhelmshaven ist die Flüchtlingsarbeit zudem sehr gut aufgestellt: Hier ist es gelungen, den Flüchtlingen bereits nach zwei Tagen Wohnungen zuzuweisen und sie mit Amtshilfe aber auch der Hilfe vieler Ehrenamtlicher in Vereine, Schulen, Kirchen etc. zu integrieren und so eine Begegnungskultur zu schaffen, die den von den Medien oft geschürten Ängsten optimal entgegen wirkte. Die Menschen lernten sich schnell kennen und es zeigt sich schon jetzt, dass diese Menschen schnell lernen und den Einstieg in unser System gut schaffen.

Bezeichnend für Feist ist schon ihre erste Frage. Sie fragen nicht nach einer Wohnung oder Leistungen, sie fragen nach Arbeit und sind hochmotiviert. Von 108 in Wilhelmshaven angekommenen Flüchtlingen konnten nach einem Jahr bereits 15 eine Ausbildung beginnen.

Das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorgegebene Ziel, 60 % der Flüchtlinge nach 5 Jahren in den Arbeitsmarkt integriert zu haben, könnte laut Feist für die JadeBay-Region aus dieser Perspektive durchaus realistisch sein. Er betont aber auch, dass es dazu noch vieler neuer Ideen bedarf, um die Ängste der Gesellschaft zu zerstreuen und unsere Sozialstandards beizubehalten.

Axel Waschke vom Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit sieht eine große Chance und großes Potenzial in den Flüchtlingen, die in unserer Region angekommen sind: die meisten sind unter 30 Jahre alt und somit für den Arbeitsmarkt von großem Interesse.

Problematisch allerdings von Anfang an, festzustellen, welche Kompetenzen der Einzelne hat. Hier sieht Waschke die Politik gefordert, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Zur Anerkennung von Abschlüssen braucht es niederschwellige Möglichkeiten für Unternehmer, damit diese im Rahmen des Gesetzes handeln können.

Ebenfalls unabdingbar für die Integration in den Arbeitsmarkt ist die Beseitigung der Sprachbarriere. Wichtigstes Kriterium hier, dass die Flüchtlinge willens sind, Sprachkenntnisse aufzubauen und dann auch entsprechende Angebote vorfinden.
Waschke empfiehlt interessierten Unternehmern, den Arbeitgeberservice der BA jederzeit zu kontaktieren. Einfach mal anrufen und nachhaken, welche ausbildungsbegleitenden Hilfen gewährleistet werden können. Hier arbeitet man lösungsorientiert und in enger Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde, zu der auch Kontakte hergestellt oder Informationen eingeholt werden können.
Auch wenn Flüchtlinge, dem Beispiel Kafkanis folgend, plötzlich im Unternehmen stehen und arbeiten möchten, rät er Unternehmern, sich grundsätzlich zunächst Ausweispapiere zeigen zu lassen und ggf. dann über Arbeitgeberservice und Ausländerbehörde Auskünfte einzuholen, z. B. wie lange jemand schon im Land ist. Grundsätzlich sind die Hürden insbesondere bei der Vergabe von Praktika an Migranten schon niedriger geworden - ab dreimonatigem Aufenthalt in Deutschland ist viel machbar.

Heinrich Kock weist noch einmal darauf hin, dass seiner Erfahrung nach die Hürden bei der Vergabe eines Ausbildungsplatzes wesentlich geringer sind als bei einer Anstellung. Darüber hinaus ist die Bleibeperspektive für Migranten in der Ausbildung größer und sie dürfen während der Ausbildung grundsätzlich nicht abgeschoben werden. Kock beschäftigt derzeit wieder zwei Praktikanten mit Migrationshintergrund und will dieses Thema zukünftig auch noch mal in die Innungen transportieren, wo es bislang nach seinen Beobachtungen noch nicht wirklich angekommen ist.

Arnim Penning bestätigt diese Beobachtung und sagt, dass auch er das Thema mit in die Kammer tragen wird. Er selber wurde auch nur zum Frühzünder, weil Kafkani ihn direkt aufgesucht hat. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte er sicherlich auf entsprechende Angebote und Informationen gewartet.

Unter den Zuhörern waren auch die Leiter der Jobcenter in den Landkreisen Friesland und Wesermarsch, Herren Bruns und Bohlmann, die ihrerseits noch keine besonderen Beobachtungen vermelden können. Hier gibt es das Thema Migration nicht erst seit der Flüchtlingswelle Ende 2015, sondern es ist Teil des Tagesgeschäftes. Aufgrund des immensen Rückstaus von 410.000 Asylanträgen beim BAMF, arbeitet man hier derzeit noch weiterhin im normalen Tagesgeschäft. Die Migranten werden erst nach Genehmigung ihrer Asylanträge vom Asylbewerberleistungsgesetz hierhin verwiesen. Der große Ansturm an dieser Front ist also noch Zukunftsmusik.